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Zitternd kauert die junge Frau am Boden des Kleiderschranks. Versucht, nicht an die Körper ihrer toten Freunde im Erdgeschoss zu denken, nicht zu atmen. Denn der Mörder ist noch im Haus. Blut sickert aus einer Wunde an ihrer Schulter, er hat sie mit dem Messer erwischt, als sie unten gerungen haben. Und sie ihm eine Stricknadel in den Hals rammte. Wie kann er noch leben?
Krachend birst die Schranktür, eine Hand greift hinein. Eine verkleidete Gestalt bricht durch das Holz, schwingt ein Fleischermesser. Und die junge Frau?
Sie schreit.
Und zwar ziemlich erfolgreich: Gleich ihr erster Filmauftritt in "Halloween" als von einem Psychopathen verfolgte Babysitterin brachte Jamie Lee Curtis 1978 den Durchbruch. Eigentlich wollte Curtis, 19, damals Polizistin werden. Doch ihr Tennislehrer vermittelte ihr das Vorsprechen - und sie überzeugte Regisseur John Carpenter. Sein für nur 325.000 Dollar produzierter Independentfilm spielte allein in den USA 47 Millionen ein und wurde zum Horrorklassiker.
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"Scream Queens" im Horrorfilm: Der letzte Schrei
Foto: imago/ Cinema Publishers Collection
Curtis durfte sich alsbald in anderen Horrorfilmen vor Messerstechern fürchten, flüchten und kreischen - in "Monster im Nacht-Express" (1980), "Prom Night - Die Nacht des Schlächters" (1980), dann in den "Halloween"-Fortsetzungen "Das Grauen kehrt zurück" (1981) und "Die Nacht der Entscheidung" (1982). Ein eigenartiger Job, um es vorsichtig zu sagen. Den aber machte sie so gut, dass ihr ein Ehrentitel bis heute anhängt: "Scream Queen".
Schreiende Frau, unbesiegbarer Mann
Im Grunde war Curtis' Erfolg darin, sich professionell von Killern attackieren zu lassen, nicht überraschend - es lag ja in der Familie. Curtis wurde am 22. November 1958 geboren, als Tochter der Hollywoodstars Tony Curtis und Janet Leigh. Und Leigh war es, die nur zwei Jahre später den wohl berühmtesten Leinwandtod überhaupt hinlegte:
Die junge Frau zieht den Plastikvorhang beiseite, stellt sich unter die Dusche, lässt mit geschlossenen Augen heißes Wasser über ihren Kopf rinnen. Sie sieht nicht, wie sich hinter dem Vorhang die Umrisse einer Gestalt abzeichnen. Immer schärfer, immer näher. Dann reißt eine Hand den Vorhang auf, schrille Streicher setzen ein, eine verkleidete Gestalt schwingt ein Fleischermesser in Richtung der Duschenden. Ihr Kreischen übertönt das Orchester, bis sie leblos zusammensinkt.
In Alfred Hitchco*cks "Psycho" (1960) spielte Janet Leigh die flüchtige Marion Crane, die mit gestohlenem Geld in einem Motel absteigt und zum Opfer eines Geisteskranken wird. Sieben Tage dauerte der Dreh der rasant geschnittenen Duschszene, heute ein Stück Filmgeschichte. Somit hätte schon Leigh den Titel "Scream Queen" verdient gehabt. Wenn er damals schon existiert hätte.
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Tatsächlich tauchte er erst gegen Ende der Siebzigerjahre auf. Inzwischen hatten drastische Horrorfilme wie "The Texas Chain Saw Massacre" (1974), "The Hills Have Eyes" (1977) und andere extreme Exploitation-Filme die Grenzen dessen verschoben, was man im Kino zeigen durfte: Sex und Gewalt, expliziter denn je und auch in Kombination miteinander, erreichten ein größeres Publikum, als man es sich noch ein Jahrzehnt zuvor hätte vorstellen können.
Carpenters "Halloween" führte ab 1978 zum Boom des Slasher-Films. In diesem Horror-Subgenre ermordet ein Psychopath, meist mit dem Messer, eine Reihe von überwiegend jungen, weiblichen Opfern. Nach dem Vorbild der von Jamie Lee Curtis gespielten Babysitterin flohen fortan auch andere Frauen in Filmen wie "Freitag der 13." (1980) oder "A Nightmare on Elm Street" (1984) schreiend vor übermenschlich starken Männern mit langen Klingen.
"Diese Art von Rollenmuster wollte ich nicht bedienen"
Viele dieser Filme folgten den fragwürdigen Geschlechterregeln, die "Halloween" etabliert hatte: Schon zum "Halloween"-Beginn ersticht Psychopath Michael Myers als Kind seine eigene Schwester, denn die hatte mit ihrem Freund herumgemacht, statt auf den kleinen Michael aufzupassen. Nach dieser Logik zieht Sex unter den jungen Protagonisten des Slasher-Films meist den raschen Tod aller Beteiligten nach sich. Leicht (wenn überhaupt) bekleidete Mädchen haben dem männlichen Aggressor nichts entgegenzusetzen außerihren Schreien.
Mit einer Ausnahme: das "Final Girl". Dem letzten überlebenden Mädchen gelingt es, den Mörder zu übermannen - oft durch pures Glück oder die Hilfe männlicher Protagonisten. Häufig ist dieses "Final Girl" der einzig moralisch nach den Regeln spielende Teenager unter den Hauptpersonen: Sie nimmt keine Drogen, trinkt keinen Alkohol, hat keinen Sex. Also darf sie leben.
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"Intelligent und verklemmt", so beschrieb Curtis' Tennislehrer damals die Rolle der Laurie in "Halloween", für die er sie vermittelte. Beides verkörperte Curtis so erfolgreich und lautstark, dass sie ab 1978 mit dem Titel "Scream Queen" leben musste. Was ihr nicht gefallen habe, so Curtis 2018 zur "FAZ": "Diese Art von Rollenmuster wollte ich nicht bedienen."
Sie tat es trotzdem, zumindest eine Weile: Nach dem Erfolg von "Halloween" schrie sich Curtis für einige Jahre durch weitere Horrorfilme, ehe sie ab Mitte der Achtzigerjahre vermehrt andere Rollen angeboten bekam. Mit der Komödie "Ein Fisch namens Wanda" (1988) oder dem Actionthriller "Blue Steel" (1990) fasste sie nun auch Fuß in Genres, in denen weniger gekreischt wurde.
Schluss mit dem Gemetzel
Das liegt lange zurück. Am 22. November wird Jamie Lee Curtis 60 Jahre alt, ihre Haare sind längst ergraut, sie färbt sie nicht. Curtis blickt auf eine große Karriere zurück, und auf ein bewegtes Leben: Sie ist Hollywoodstar, Kinderbuchautorin, Bloggerin. Sie kämpfte lange mit misslungenen Schönheits-OPs, Alkoholismus, Tablettensucht und bekam ihr Leben wieder in den Griff. Sie engagierte sich für die Rechte hom*osexueller, unterstützte Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton und eine Hilfsorganisation für aidskranke Kinder.
Zudem war die einstige "Scream Queen" in der #MeToo-Debatte eine der unüberhörbaren Stimmen aus Hollywood: In einer Kolumne für die "Huffington Post" äußerte Curtis sich im Oktober 2017 empört über die Unterstellung, viele Opfer sexueller Übergriffe im Filmgeschäft hätten ja "geradezu darum gebeten". Sie selbst, erklärte die Schauspielerin, habe ihre "persönlichen Versionen von sexuellen Übergriffen bei der Arbeit" erlebt: "Habe ich darum gebeten? Nein. Worum ich schlicht gebeten hatte, war ein Job, und was damit einherging, waren sexuelle Übergriffe."
Dem Slasher-Horror von "Halloween" mit dem omnipotenten Killer Michael Myers hat Curtis indes nicht den Rücken zugekehrt. Und zwar gerade wegen ihrer Überzeugungen: Im Sequel "Halloween", das am 19. Oktober 2018 anlief (hier der Trailer), spielt sie die um 40 Jahre gealterte Laurie Strode als eine von ihren Traumata gezeichnete Frau, als getriebene Überlebende, die sich in einem Haus voller Waffen verschanzt hat.
Diesmal aber läuft Laurie nicht mehr hilflos vor ihrem übermächtigen Verfolger davon, sondern lauert ihm auf. Und, so viel Spoiler sei erlaubt, überwältigt ihn am Ende - mithilfe anderer Frauen. Die einstige "Scream Queen" gibt sich nicht mehr zufrieden mit Fürchten und Schreien. "Zudem reizt mich die perfekte Symmetrie, wenn mein erster und mein letzter Film 'Halloween' wäre", sagte sie SPIEGEL ONLINE kürzlich.
Ihre #MeToo-Protestkolumne schloss Curtis mit einem Zitat aus dem Lied "I Am Woman", das Helen Reddy schon 1971 sang: "Ich bin Frau, hör mich brüllen / In Zahlen, zu groß zum Ignorieren."
Von der sexistischen Klischeefigur zur Rächerin im Geschlechterkampf: Zum 60. Geburtstag der "Scream Queen" Jamie Lee Curtis zeigt einestages in der Fotostrecke die berühmtesten, schrillsten und wehrhaftesten Profi-Kreischerinnen der Filmgeschichte.